Elendszirkulation

Germania, UE, Africa, CSI, migrazioni, forza lavoro

GFP 06-02-16

Elendszirkulation

DARESSALAM/BERLIN/MINSK

(Eigener
Bericht) – Die Bundesregierung finanziert den Flüchtlingsabschub [l’espulsione
dei profughi] zwischen mehreren afrikanischen Staaten und greift in die
Migration im Ostteil des Kontinents ein.
Die Maßnahmen betreffen mehrere
hunderttausend Menschen in Tansania
und sollen den von dort ausgehenden
Flüchtlingsstrom umlenken, so dass den Armuts- und Bürgerkriegsopfern der
Weg nach Europa versperrt wird.
Deutsches Lenkungsziel sind Burundi und der Kongo, wo die Flüchtlinge
Hunger und Tod erwartet. Die Eingriffe werden von der UN-Flüchtlingsagentur umgesetzt, vor deren
Kairoer Niederlassung es kürzlich zu einem Massaker an verzweifelten Migranten
kam. Die ständig fortschreitende Expansion des Grenzregimes der EU
sieht ein internationales Lagersystem vo
r, das die soziale Dynamik der Fluchtbewegungen
in regional angelegten Auffangreservaten reguliert ("Regional Protection
Programmes", RPP). Zwischen diesen Camps und interessierten
Wirtschaftszentren können ausgesuchte Arbeitskräfte "pendeln", heißt
es in einer Darstellung der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung.
Die
EU-Pläne werden in zwei Pilotprojekten vorangetrieben – und schließen an
den gegenwärtigen deutschen Flüchtlingsabschub in Tansania an. Dort haben
die Vorbereitungen für den Aufbau von "Regional Protection"-Lagern
begonnen
. Das zweite Auffangreservat
wird gegenwartig für Flüchtlinge aus der "Ukraine, Moldawien und
Weißrussland" entworfen. Damit treibt die EU das deutsch-italienische Konzept der organisierten Zuführung billiger
Arbeitskräfte aus transkontinentalen Armutszonen bei möglichst totaler
Absperrung sämtlicher europäischer Grenzen entschlossen voran.

Besorgnis
erregend

Wie die deutsche Regierung aufgrund einer
Parlamentsanfrage bestätigt, finanziert
sie Maßnahmen, die "auf die Repatriierung burundischer und kongolesischer
Flüchtlinge (aus Tansania) in ihre Heimatländer" abzielen
.[1] Tansania gehört zu "den Hauptaufnahmeländern
von Flüchtlingen in Afrika".[2] Im Jahr 2003 suchten rund 690.000 Menschen
in dem ostafrikanischen Staat Zuflucht.
Unter ihnen befinden sich vor allem
Personen, die dem Krieg in der Demokratischen
Republik Kongo entkommen sind, aber auch mehrere Hunderttausend Bürgerkriegsflüchtlinge
aus Burundi.
Für die angeblich freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland stellt
Berlin in Zusammenarbeit mit der UN-Agentur UNHCR "Transportmöglichkeiten,
Nahrungsmittel und weitere Hilfsgüter" bereit
.[3] Dabei wird offenbar massiver
Druck auf die Flüchtlinge
ausgeübt, berichtet Amnesty International (AI):
"Beamte drohten ihnen wiederholt, sie würden unter Zwang repatriiert,
falls sie Tansania nicht freiwillig verließen."[4] AI zufolge finden auch
Abschiebungen nach Burundi statt; dort herrscht eine "Besorgnis erregende
Sicherheitslage".

Katastrophale
Lage

Das
"Regionale Schutzprogramm", das die Europäische Union derzeit in
Tansania vorbereitet, kann an die deutschen Vorarbeiten in dem ostafrikanischen
Staat anknüpfen. Zudem unterstützt Brüssel bereits jetzt – ebenfalls in
Zusammenarbeit mit dem UNHCR – ein Projekt mit dem Titel "Strengthening
Protection Capacity", das die Lage in den tansanischen Flüchtlingslagern
unter Kontrolle bringen soll.[5] Der
ostafrikanische Staat, einer der ärmsten der Welt, kann eine menschenwürde
Unterbringung der Flüchtlinge alleine nicht gewährleisten; aufgrund mangelnder
internationaler Unterstützung sind mehr als ein Drittel der in den Lagern
untergebrachten Kinder unterernährt, Gewalt ist weit verbreitet.
Die
UNHCR-Aktivitäten
, die vom Finanzzufluss der Industriestaaten leben, stehen
seit Jahren unter dem Verdacht der Zuarbeit für die EU.
Nach undementierten
Berichten ereignete sich das
kürzliche Massaker in einem Flüchtlingslager vor dem Kairoer UNHCR-Büro nach
vertraulichen Absprachen zwischen der UNHCR-Vertretung und der örtlichen
Polizei.[6]

Besser steuern

Die
Flüchtlinge in Kairo hatten es geschafft, aus ihren innerafrikanischen
Herkunftsstaaten bis an die Mittelmeerküste zu gelangen – dies zu
verhindern, um die Migranten lange vor der Küste abzufangen, läuft jetzt das
"Regionale (EU-)Schutzprogramm" in Tansania an. Vorgesehen ist ein
"Programm mit 5 oder 6 Maßnahmen" ("Kapazitätsaufbau"), das
unter anderem die "Registrierung" der Flüchtlinge umfasst
; ferner
wird über die weitere Verwendung ihrer Arbeitskraft ("Ausbildung")
und über ihren zukünftigen Aufenthaltsort entschieden.[7] Ob die Abschiebung der Migranten
schließlich in das jeweilige Herkunftsland führt oder ob sie für Arbeitsanforderungen
aus anderen Staaten bereitstehen dürfen, entscheiden die jeweiligen Begleitumstände.
Von übergeordneter Bedeutung ist, dass "die betreffenden Länder die Wanderungsbewegungen
besser steuern" können, heißt es in dem zugrunde liegenden Strategiepapier
über die Steuerung durch das EU-Grenzregime.[8]

Satellitentechnik

Mit der industriellen Regulierung des
Arbeitskräfteeinsatzes afrikanischer und anderer Migranten beschäftigt sich
eine eigene EU-Kommission, die "Justiz, Freiheit und Sicherheit" in
ihrem Namen führt. Deren Kommissar Frattini unterrichtete die deutsche
Konrad-Adenauer-Stiftung bei einem "Working lunch" über die ins Auge gefassten
Maßnahmen
und die dafür vorgeschlagenen Begrifflichkeiten.[9] Demnach soll die Zirkulation der
Arbeitskräfte "zwischen Herkunfts- und Einwanderungsland" als
"ein ‘Pendeln’ hochqualifizierter Migranten" bezeichnet werden.
Mit diesem Modell scheint sich eine Lösung der bisher schwierigen Aussiebung
von Personen abzuzeichnen, die in den Kernstaaten der EU zum Einsatz kommen
sollen. Ihre jeweilige Befähigung wird nun in den fern gelegenen "Regional
Protection"-Reservaten unter Bedingungen einer standardisierten Lagerordnung
vorgeprüft
("Regulierung der Migration auf statistischer Basis").
Anders als die Lagerplaner des vergangenen Jahrhunderts erfreuen sich die
heutigen Organisatoren globaler Hilfsmittel. Wie EU-Vize-Kommissar Frattini vor
der Konrad-Adenauer-Stiftung ausführte, müsse die Migrations-"Überwachung
durch die Nutzung der Satellitentechnik" erfolgen.
"Verschärften
Kontrollen müssten ferner die Staaten Nordafrikas unterzogen werden".

Drei
Kontinente

Ähnliche Maßnahmen imperialen Zuschnitts stehen auch
mehreren Staaten Osteuropas bevor. Dort sind "Regionale
Schutzprogramme" gegen Migranten aus der Ukraine, Moldawien und Belarus im
Aufbau. Da "die Eindämmung illegaler Einwanderung zuallererst"
in die Verantwortung der Herkunftsländer falle, müssten "zunächst die Kapazitäten
vor Ort ausgenutzt werden". Nach der Etablierung eines Systems, das
der damalige deutsche Innenminister Otto Schily bereits vor eineinhalb Jahren
an die Öffentlichkeit getragen hatte
, ist dessen Expansion in das
Armutsland eines dritten Kontinents im Gespräch: Afghanistan.

Musterregelwerk

Die
Verlagerung der Flüchtlingsabwehr in die Herkunfts- und Transitgebiete umfasst
auch neue Möglichkeiten, nach Europa gelangte Flüchtlinge auszuweisen. Finanzmittel
aus dem AENEAS-Programm der EU
, das zur Kontrolle der weltweiten
Migrationsbewegungen eingesetzt wird und auch den "Regionalen
Schutzprogrammen" zugute kommt, sind vor allem "für Drittstaaten
bestimmt
, die aktiv mit der Vorbereitung oder mit der Durchführung eines
(…) mit der EU geschlossenen Rückübernahmeabkommens befasst
sind", bestätigt die Bundesregierung.[10] Gemäß einer "Asylverfahrensrichtlinie", die am
1. Dezember 2005 von den EU-Innenministern verabschiedet wurde
, dürfen auch Staaten, die die Genfer
Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet haben, als "sichere
Drittstaaten" qualifiziert werden
und stehen somit für
Abschiebemaßnahmen prinzipiell offen. Ziel sei "ein auf sämtliche Fälle
illegaler Einwanderung anwendbares Musterregelwerk".[11]

Freiwillig

Um eigene
Versuche, mit der Anrufung von Menschenrechten politisch unliebsame Länder zu
diskreditieren, nicht vollständig der Lächerlichkeit preiszugeben, wollen
die EU-Kernstaaten ihre Kontrolle über die globalen Wanderungsbewegungen mit
dem Schein der Zwanglosigkeit versehen.
Man solle "den Betroffenen zunächst
die Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr
" eröffnen, erklärte
Frattini
vor der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sollte dies nicht zu den gewünschten
Ergebnissen führen, stehen "auch Maßnahmen zur zwangsweisen Rückführung
illegal Eingewanderter" bereit.
[12]

[1] Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel u.a.
und der Fraktion die Linke: Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika und
Osteuropa, Berlin 13.02.2006

[2] Migration
in und aus Afrika; BMZ-Spezial Nr. 118 September 2004

[3] Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel u.a.
und der Fraktion die Linke: Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika und
Osteuropa, Berlin 13.02.2006

[4] Tansania;
amnesty international Deutschland Jahresbericht 2005

[5] Strengthening Protection Capacity
and Support to Host Communities in Tanzania;
Recommendations from the Tanzania
National Consultation April 5-6, 2005

[6] s. dazu Zu
den Toten von Kairo kommen noch mehr

[7] Die
externen Aspekte der Asylpolitik: Die Verbesserung des Schutzes in
Drittländern; europa.eu.int/comm/justice_home/fsj/asylum/
external/fsj_asylum_external_de.htm

[8] Mitteilung
der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über regionale
Schutzprogramme. KOM(2005) 388 endgültig; Brüssel 01.09.2005. Auszüge:
Bekämpfung unerwünschter Migration (II)

[9] Working
Lunch mit Kommissar Franco Frattini;
www.kas.de/proj/home/events/9/1/veranstaltung_id-17764/

[10] Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Heike Hänsel u.a.
und der Fraktion die Linke: Auffanglager für Flüchtlinge in Afrika und
Osteuropa

[11], [12] Working Lunch mit Kommissar
Franco Frattini; www.kas.de/proj/home/events/9/1/veranstaltung_id-17764/

s. auch
Festung, Import-Export und Das Libyen-Projekt sowie Lagerspezialisten

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